Kopfarbeit in guten Händen

Heike Kubat Elke Schulze Ima Feurer Kopfarbeit in gutenHänden Untersuchung und Behandlung craniocervicaler Syndrome Mit Geleitworten von Colette Andrée Jens Christoph Türp unter Mitarbeit von Angelika Kramer

Heike Kubat, M.Sc. Advanced Clinical Practice, Feldbach Elke Schulze, M.Sc. Advanced Clinical Practice, Sulzbach-Rosenberg Ima Feurer, Dipl. Physiotherapeutin, Böhringen Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Formwiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in demWerk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus demFehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freienWarennamen handelt. Bibliografische Information der DeutschenNationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Anregungen und Zuschriften bitte an: Hogrefe AG Lektorat z.Hd.: Barbara Müller Länggass-Strasse 76 3012 Bern Schweiz Tel: +41 31 300 45 00 E-Mail: verlag@hogrefe.ch www.hogrefe.ch Lektorat: Barbara Müller Bearbeitung: Barbara Müller, Almut Leopold Herstellung: Daniel Berger Umschlagabbildung: Elke Schulze Umschlag: Claude Borer, Riehen Satz: punktgenau GmbH, Bühl Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s. r.o., Český Těšín Printed in Czech Republic 1. Auflage 2021 © 2021 Hogrefe Verlag, Bern (E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95978-8) (E-PUB-ISBN 978-3-456-75978-4) ISBN 978-3-456-85978-1 https://doi.org/10.1024/85978-000

5 Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Geleitwort 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Geleitwort 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Craniocervicale Syndrome: eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Ziele und Inhalte des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Zum Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.3 Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.4 Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.5 „Wir“ Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2 Grundlegende Aspekte zu Anatomie und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Zervikale Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Craniomandibuläres System (CMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3 Gleichgewichtssinn im Innenohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3 Sicherheit geht vor! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.1 Zeichen ernsthafter Schädigungen oder Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.2 Kopfschmerz oder Schwindel als Warnsignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4 Nackenassoziierte Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.1 Von der Neuroanatomie bis zur Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.2 Zervikogene Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.3 Zervikogener Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.4 Schleuder- und Kontusionstraumata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5 Funktion und Dysfunktion des Craniomandibulären Systems . . . . . . . . . . . 113 5.1 Biomechanische und neurophysiologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.2 Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.3 Anamnese bei CMD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

6 Inhaltsverzeichnis 6 Kopfschmerz und Migräne – mehr als ein Symptom . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.1 Diagnosestellung Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.2 Migräne – die unterschätzte Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.3 Kopfschmerz vom Spannungstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6.4 Andere und sekundäre Kopfschmerzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6.5 Anamnese bei Hauptsymptom Kopfschmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 7 Schwindel ist nicht gleich Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 7.1 Gleichgewichtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 7.2 Schwindel durch periphere vestibuläre Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . 238 7.3 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 7.4 Migräne-induzierter Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 7.5 Anhaltender postural-perzeptueller Schwindel (PPPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 259 7.6 Anamnese bei Schwindelsymptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 8 Die Testbatterie – Grundlage einer effektiven Therapie . . . . . . . . . . . . . . . 281 8.1 Sicherheitstests vor der Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 8.2 Neuromuskuloskelettale Bewegungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 8.3 Tests durch Kopfstellungen/-bewegungen induziertem Schwindel . . . . . . . . . 298 8.4 Okulomotorische Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 8.5 Tests der Sensomotorik einzelner Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 8.6 Tests der statischen und dynamischen Stützsensomotorik . . . . . . . . . . . . . . 330 9 Untersuchung und Behandlung des Craniomandibulären Systems (CMS) . . . . 351 9.1 Wesentliche Aspekte der Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 9.2 Differenzierende aktive und passive Bewegungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . 354 9.3 Funktionsuntersuchung artikulärer Strukturen des CMS . . . . . . . . . . . . . . . 370 9.4 Funktionsuntersuchung der muskulären Strukturen im CMS . . . . . . . . . . . . . 378 9.5 Funktionsuntersuchung neuraler Strukturen des CMS . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 9.6 Patientenzentrierte Behandlungsstrategien bei CMD . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 10 Untersuchung und Behandlung der HWS/BWS und Schulter-Arm-Region . . . 403 10.1 Weiterführende Untersuchung der HWS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 10.2 Funktionsuntersuchung artikulärer Strukturen der HWS . . . . . . . . . . . . . . . 409 10.3 Funktionsuntersuchung muskulärer Strukturen der HWS . . . . . . . . . . . . . . . 411 10.4 Funktionsuntersuchung neuraler Strukturen der HWS . . . . . . . . . . . . . . . . 419 10.5 Brustwirbelsäule (BWS): unterschätztes Einflussgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . 430 10.6 Untersuchung der Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

7 Inhaltsverzeichnis 11 Sensomotorische Anpassung und Vestibuläre Rehabilitation . . . . . . . . . . . 457 11.1 Vestibuläre Rehabilitation (VR): Zum Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 11.2 Anpassungsfähiges sensomotorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 11.3 Befreiungsmanöver beim BPLS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 11.4 Sensomotorisches Training im Sinne der VR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 11.5 Nachweise sensomotorischer Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 12 Therapeutischer Prozess bei Craniocervicalen Syndromen . . . . . . . . . . . . . 499 12.1 Die vier Elemente der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 12.2 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Anhang: Befundbögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

281 Die Forderung nach einer eigenständigen therapeutischen Untersuchung wird dadurch verdeutlicht, dass Patienten oft mit einer vielschichtigen Problematik bzw. Krankheitsgeschichte einen Therapeuten aufsuchen. So kann die Diagnose „benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel“ zum Beispiel mit der Krankheitsgeschichte einer vestibulären Migräne verknüpft sein. Oder eine „Dysfunktion der Halswirbelsäulengelenke“ ist verbunden mit einemmehr als drei Jahre zurückliegenden Schädelhirntrauma. Oder eine „CMD“ ist assoziiert mit Schwindelattacken und Hinterhauptsschmerzen. Alle Strukturen der kraniozervikalen Region – und womöglich darüber hinaus – sind zu überprüfen. Wobei das wiederum nicht bedeutet, ein Übermaß an Tests durchzuführen. Vielmehr erfordert es eine konstante kritische Beurteilung des Untersuchers – also einen Clinical Reasoning Prozess. Dieser beginnt in der Anamnese und setzt sich fort in den darauffolgenden Untersuchungschritten, umherauszufinden, welche Tests notwendig und zielführend sind (Abbildung 8-1). Die Testbatterie in diesem Kapitel besteht aus einer Aneinanderreihung von funktionellen Einzeltests (Tabelle 8-1). Diese Tests decken umfassend physisch relevante Systembereiche ab, die Craniocervicale Syndrome hervorrufen können. ImÜberblick gehören die sogenannten Sicherheitstests, Lagerungstest bei Schwindel, okulomotorische Tests, Beweglichkeitstests, sensorische und motorische Tests des Bewegungsapparates sowie Stand- und Gangproben dazu. Aus dieser Testbatterie wählt der Therapeut nach der Anamnese und Inspektion und in Abhängigkeit von einer ärztlichen Diagnose die Einzeltests individuell für den Patienten aus. Ziel der Testung ist es, herauszufinden in welchen Systembereichen funktionelle Dysfunktionen vorliegen, die wir als Therapeuten beeinflussen können. Oft bedingen sich Dysfunktionen in den Systembereichen gegenseitig. Vestibuläre Dysfunktionen ziehen zumBeispiel Anamnese Inspektion Funktionstests aus der Testbatterie Weiterführende Untersuchung Therapieplanung/- durchführung Abbildung 8-1: Elemente des therapeutischen Prozesses bei Craniocervicalen Syndromen 8 Die Testbatterie – Grundlage einer effektiven Therapie

282 8 Die Testbatterie – Grundlage einer effektiven Therapie Tabelle 8-1: Liste codierter funktioneller Tests der Testbatterie Testcode Name des funktionellen Tests Hinweis auf Untersuchter Schwerpunkt/ Systembereich 01 Blutdruckmessung Hypertensive Krise Sicherheit 02 Gehaltene Einstellungen der HWS Kompensationsmöglichkeiten der neurovaskulären Versorgungsstrukturen des Gehirns 03 Ligamentum-transversum- atlantis-Test Integrität des Ligamentum transversum atlantis 04 Ligamentum-alare-Tests Integrität der Ligamenta alaria rechts und links 05 Neurologische Tests der unteren Hirnnerven Zentrale Ischämie 06 Tests der HWS Dysfunktion der HWS Neuromuskuloskelettale Systembereiche 07 Tests des craniomandibulären Systems CMD 08 HWS-Kiefer-Bewegungen Zusammenhang zwischen Dysfunktion der HWS und des CMS 09 Tests des Schultergürtels Dysfunktion im Bereich des Schultergürtels 10 Tests der Arme Dysfunktion im Bereich der Arme 11 HWS-Kiefer-Schultergürtel- Bewegungen Zusammenhang zwischen Dysfunktion von HWS, Kiefer, CMS und Schultergürtel 12 HWS-Kiefer-Arm-Bewegungen Zusammenhang zwischen Dysfunktion von HWS, Kiefer, CMS und Arm 13 Tests von Brustwirbelsäule/ Brustkorb Dysfunktion im Bereich Brustwirbelsäule/Rippen/Sternum 14 Neurodynamische Provokationen Neurodynamische Dysfunktion 15 Empfindlichkeitstests gegenüber Kopfstellungen/-bewegungen Periphere oder zentrale vestibuläre Dysfunktion Vestibuläres System 16 Dix-Hallpike-Test oder Semont-Test Posteriorer benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel 17 Pagnini-McClure-Test Horizontaler benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel 18 Schellong-Test Orthostatische Dysregulation Herz-Kreislauf-System

283 7.6 Anamnese bei Schwindelsymptomen Testcode Name des funktionellen Tests Hinweis auf Untersuchter Schwerpunkt/ Systembereich 19 Okuläre Fixation/ Blickhaltefunktion Zentrale oder periphere okulomotorische Dysfunktion, Strabismus (Schielerkrankung) Visueller Systembereich in Zusammenarbeit mit vestibulären, zervikalen und zentralen Elementen 20 Vergenzbewegungen der Augen Konvergenz-/Divergenz-Insuffizienz der Augen 21 Langsame Blickfolgebewegungen (Smooth-Pursuit-Test) Zentrale oder periphere okulomotorische Dysfunktion 22 Sakkadische Bewegungen der Augen Zentrale oder periphere okulomotorische Dysfunktion 23 Test des optokinetischen Nystagmus Dysfunktion des optokinetischen Reflexes 24 Test vestibulookulärer Reflex – oder Kopfimpulstest Dysfunktion des Vestibulookulären Reflexes, typisch für periphervestibuläre Störung 25 Dynamischer Sehschärfetest Vestibulookuläre Dysfunktion 26 Blickstabilisierung mit aktiver Kopfbewegung Zervikovestibulookuläre Dysfunktion 27 Sequenzielle Augen-Kopf- Bewegungen Zervikovestibulookuläre Dysfunktion 28 Zervicaler Joint-Position-ErrorTest Mangelnde Zielsensomotorik der HWS Sensomotorische Systembereiche des Körpers: Zielsensomotorik einzelner Regionen Stand- und Gangsicherheit in Zusammenarbeit mit vestibulären und visuellen Elementen 29 Bewegungssinn der HWS Mangelnde Zielsensomotorik der HWS 30 Rydel-Seiffer-Stimmgabeltest an der unteren Extremität Sensorische Dysfunktion der Füße/ unteren Extremitäten 31 Gleichgewichttests im Stand Mangelnde statische Stützsensomotorik 32 Gangbild Mangelnde dynamische Stützsensomotorik 33 Tandemgang Mangelnde dynamische Stützsensomotorik 34 Fukuda-Stepping-Test Mangelnde dynamische Stützsensomotorik Tabelle 8-1: Fortsetzung

284 8 Die Testbatterie – Grundlage einer effektiven Therapie wegen der engen reflektorischen Verknüpfung zu den Augen Bewegungsstörungen in Formvon Nystagmen nach sich. Augenbewegungsstörungen wiederum führen oft zu unbewussten stereotypen Mitbewegungen der HWS oder des Kiefers. Im Anhang des Buches findet sich ein vierseitiges Formblatt zur Dokumentation der vielfältigen Ergebnisse aus der Testbatterie. ZumeinemTeil sind die Ergebnisse der Testbatterie nicht ausreichend, sodass weiterführende fallspezifische Assessmentverfahren oder manualtherapeutische Untersuchungen angeschlossen werden müssen, bevor der Therapeut angepasste Maßnahmen und Übungen für den Patienten ableitet. Auch spielen die Erfahrung und Expertise bei der Auswertung oder Interpretation der Testergebnisse und der Therapieauswahl eine Rolle. Wir betonen an dieser Stelle ausdrücklich, dass die Tests explizit für abzuleitende Behandlungsschritte erforderlich sind. In den folgenden Beschreibungen sind verlässliche Gütekriterien der Tests angegeben, sofern sie darüber verfügen. Die Funktionstests der Testbatterie sind ein wesentliches Element innerhalb des therapeutischen Prozesses (Abbildung 8-1). Ihre Ergebnisse ermöglichen es, zusammen mit der ärztlichen Diagnose, der Anamnese und Inspektion therapeutische Maßnahmen und Übungen abzuleiten. Weiterführend setzt der Therapeut fallspezifische Fragebögen und validierte Assessmentverfahren ein. Und bei einer muskuloskelettalen Funktionsstörung führt er zusätzliche manualtherapeutische Techniken durch, die in den Folgekapiteln erläutert sind. 8.1 Sicherheitstests vor der Therapie Insbesondere die Symptome Kopfschmerz und Schwindel oder ein vorausgegangenes Trauma sowie damit in Zusammenhang stehende Red Flags sind als Hinweise zu werten, ernsthafte Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des zentralenNervensystems zu überprüfen. Für den Therapeuten empfehlen sich hierfür die sogenannten Sicherheitstests, die eine Blutdruckmessung, zeitdefinierte gehaltene endgradige Einstellungen der HWS, manualtherapeutische Stabilitätsteste der HWS und eine orientierende neurologische Untersuchung der Hirnnerven enthalten. Sind die Ergebnisse der Tests positiv, muss der Therapeut in Abhängigkeit von der bisherigen Diagnostik die Einschätzung treffen, ob der Patient in eine ärztliche Betreuung geschickt und nicht weiter untersucht oder behandelt wird. 8.1.1 Blutdruckmessung: Testcode 01 Testauswahl: Kopfschmerzen und eine rote Gesichtsverfärbung in Zusammenhang mit anamnestischen Hinweisen auf eine akute Herz-Kreislauf-Erkrankung bzw. ein Schlaganfallrisiko veranlassen den Therapeuten, eine Blutdruckmessung durchzuführen. Sie liefert einen verlässlichen Parameter zur Beurteilung von Bluthochdruck. Ausführung und Bewertung richten sich nach den Europäischen Leitlinien für das Management von arteriellemBluthochdruck (Williams et al., 2018). Bevor mit der Blutdruckmessung begonnen wird, sollten die Patienten bequem für mehrere Minuten in einer ruhigen Umgebung sitzen. DieManschette wird auf der Höhe des Herzens am linken Arm positioniert, wobei Rücken und Arm gestützt sind, um Blutdruckerhöhungen bedingt durch Muskelarbeit zu vermeiden. Es sollten wenigsten zwei, besser drei Blutdruckmessungen im Abstand von ein bis zwei Minuten erfolgen. Diese sollten nicht mehr als 10 mmHg differieren. Blutdruck-Normwerte beim Erwachsenen (ab 16 Jahre) liegen bei 120– 129 mmHg in der Systole und 80–84 mmHg in der Diastole (Tabelle 8-2). Eine Hypertonie ist definiert ab einem systolischen Wert größer 140 mmHg und/oder einem diastolischen Wert von mehr als 90 mmHg. Ab einem Wert von 180mmHg systolisch und 110mmHg diastolisch,

285 8.1 Sicherheitstests vor der Therapie handelt es sich umeine Hypertension Grad 3, die auch als hypertensive Krise bezeichnet wird. Abzuleitende therapeutische Maßnahmen: Nicht erkannte sehr hohe Blutdruckwerte treten nicht selten als Komplikation bei bereits diagnostiziertemBluthochdruck auf. Sie werden deshalb nicht erkannt, weil Betroffene lediglich moderate Kopfschmerzen empfinden können, selbst wenn es sich um Grad 3 handelt. In so einem Fall gibt es zwei mögliche Vorgehensweisen für den Therapeuten. Sprechen hinreichende Anzeichen für eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung wie einHerzinfarkt oder Schlaganfall, sprichHypertension Grad 3 in Verbindungmit zerebralen, kardialen oder okulären Symptomen, dann sollte sofort ein Notarzt gerufen werden. Für den häufigeren Fall, dass keine weiteren Zeichen für eine akute Erkrankung vorhanden sind, empfiehlt es sich – auch bei Grad 3 – den Patienten zu beruhigen und ihn zum Hausarzt zu verweisen (Holzgreve, 2016). Eine Begleitperson kann benachrichtigt werden. Der Patient sollte, wenn er sich noch einen Moment vor Ort ausruhen möchte, nicht allein bleiben und mit erhöhtem Oberkörper und tiefen Beinen gelagert werden. 8.1.2 Gehaltene Einstellungen der HWS: Testcode 02 Testauswahl: Bei Kopf- undNackenschmerzen haben sich manualtherapeutische Interventionen an der HWS etabliert, deren Wirksamkeit Tabelle 8-2: Klassifikation von Blutdruckwerten und Gradeinteilung von Bluthochdruck Bewertung des Blutdruckwertes Systolischer Wert Diastolischer Wert Optimal < 120 mmHg und < 80 mmHg Normal 120–129 mmHg und/oder 80–84 mmHg Normal erhöht 130–139 mmHg und/oder 85–89 mmHg Bluthochdruck Grad 1 140–159 mmHg und/oder 90–99 mmHg Bluthochdruck Grad 2 160–179 mmHg und/oder 100–109 mmHg Bluthochdruck Grad 3 ≥ 180 mmHg und/oder ≥ 100 mmHg Isolierter systolischer Bluthochdruck ≥ 140 mmHg und < 90 mmHg bei segmentalen Dysfunktionen signifikant ist. Allerdings gehen sie mit einem potenziellen – wenn auch geringem – Risiko hinsichtlich der Schädigung neurovaskulärer Strukturen, die das Gehirn versorgen, einher (Hutting et al., 2018). Das Erkennen einer möglichen schwerwiegenden gefäßbedingten oder anderen ernsthaften Erkrankung an der HWS vor einer manualtherapeutischen Intervention unterliegt einem Prozess aus Anamnese und Untersuchung und der Bewertung der darin gefundenen Zeichen. Gehaltene Einstellungen am Bewegungsende der HWS sind ein Baustein in diesem Prozess und werden von uns vor jeder therapeutischen Intervention an der HWS empfohlen (siehe Kapitel 3). Ausführung und Bewertung: Die gehaltenen Einstellungen (Abbildung 8-2) dauern bis zu zehn Sekunden und umfassen isolierte Rotationen, Kombinationen aus Rotation und Extension oder eine Position, die im Anschluss als Einstellung der therapeutischen Intervention beabsichtigt ist (Kerry &Taylor, 2006). Diese gehaltenen Einstellungen führt der Untersucher zu beiden Seiten durch. Sie geben Aufschluss über die Kompensationsmöglichkeit, das Gehirn in der gewählten Position ausreichend zu versorgen. Ursachen für eine verminderte Kompensationsfähigkeit liegen in zervikogenen, vestibulären und vaskulären Strukturen (Hain, 2015). Zu den Leitsymptomen aufgrund einer verminderten Kompensationsfähigkeit gehören

286 8 Die Testbatterie – Grundlage einer effektiven Therapie Kopf- und Nackenschmerzen, die eine muskuloskelettale Dysfunktion vortäuschen können (Kerry & Taylor, 2009). Sie können zum Beispiel bereits in einem frühen Stadium einer Dysfunktion der hirnzuführenden Arterien auftreten, während Anzeichen einer Hirnstammischämie dies möglicherweise noch nicht tun (Kerry & Taylor, 2006; Thanvi et al., 2005) Bei Affektionen der A. vertebralis sind zudemNervenwurzelreizungen in einem frühen Stadium möglich und bei einer Carotisaffektion kann es zu einem partiellen ipsilateralen Horner Syndrommit Ptosis (hängenden Augenoberlid) und Miosis ( Pupillenverengung) kommen (siehe Tabelle 3-5 in Kapitel 3). Zu den erst später auftretendenHirnstammzeichen durch Ischämie gehören vielfältige Symptome, die in Kapitel 3 erläutert werden. Ein ansteigender Charakter von Symptomen Abbildung 8-2: Gehaltene endgradige Positionen der Halswirbelsäule in a) isolierter Rotation rechts, b) isolierterer Rotation links, c) einer Kombination aus Rotation und Extension und d) einer Einstellung, in der die Therapie erfolgen soll a) b) c) d) während der gehaltenen Einstellungen aufgrund einer zunehmenden Ischämie, erhärtet den Verdacht einer ernsthaften Pathologie. Die Symptome dürfen nur kurz zugelassen werden und der Therapeut muss aus der gehaltenen Position unmittelbar wieder herausgehen. Wir Autorinnen schätzen die gehaltenen Einstellungen der HWS als einen wertvollen Teil in der Untersuchung. Sie werden weiterhin als nützlich angesehen und nehmen einen wichtigen Platz in der Differenzierung von Patienten mit Schwindel oder Gleichgewichtsproblemen ein (Thomas &Treleaven, 2019). Jedoch sollten sie nicht als Tests der arteriellen Integrität angesehen werden. Eine Beurteilung hinsichtlich Risiko einer Schädigung der A. vertebralis beziehungsweise der A. carotis interna oder Vorhandensein einer zervikalen arteriellenDissektion ist nicht möglich. Denn es existieren keine

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